Unfälle mit Composite-Flaschen

1. Unfall: 20.09.2002 in Toulon (F)

Tödlicher Unfall mit einer Atemluft-Flasche bei der Feuerwehr in Toulon, Departement Var/Südfrankreich.

Auf dem Übungshof der zentralen Feuer- und Rettungswache von Toulon (CODIS-83) ereignete sich ein folgenschwerer Unfall. Bei der routinemäßigen morgendlichen Übernahmeprüfung des neuen Tunnel-Löschfahrzeuges wurden auch die verlasteten 2-Flaschen-Atemschutzgeräte ( DRÄGER-Gerät 2 x 6,8 l, 300 bar, mit COMPOSITE-Flaschen, Flaschen-Hersteller COMPOSITE AQUITAINE) überprüft.

Hierbei kam es nach ersten Informationen bei angelegtem Gerät auf dem Rücken eines 21-jährigen Feuerwehrangehörigen bei einem Restdruck von 126 bar in beiden Flaschen, während des Ventilschließens zu einer Absprengung des Ventilbereichs einer Flasche. Das Ventil wurde explosionsartig in Richtung Hofbelag nach unten geschleudert, die Flasche wurde nach oben geschleudert (hierbei erlitt der Feuerwehrmann schwerste Kopfverletzungen mit unmittelbarer Todesfolge) und es folgte unmittelbar danach eine explosionsartige Abplatzung des Flaschenbodens, der dadurch nach unten geschleudert wurde.

Ein weiterer daneben stehender Feuerwehrangehöriger erlitt Schnittverletzungen sowie ein Knalltrauma und wurde zusammen mit neun auf der anderen Fahrzeugseite stehenden Kameraden, die ebenfalls knallgeschädigt waren, ins Krankenhaus verbracht. Alle anwesenden Feuerwehrangehörigen einer gemischten BF-/FF-Mannschaft sprachen von einer noch nie zuvor gehörten Explosionslautstärke. Die Atemluftflasche stammte aus einem neuen Bestand von ca. 50 Flaschen, die alle sofort zu Untersuchungszwecken sichergestellt wurden.

Quelle: Hans-Peter Merker, Vorsitzender des KFV Reutlingen

Ergänzende Informationen

Ergänzend zu o. g. Informationen das Gedächtnisprotokoll eines Gespräches zwischen dem Abteilungsteiler Technik der BF Toulon M. Persoglio und R. Schubert am 5.12.2003:

  • FM setzt Gerät auf und dreht erste Flasche zum Test auf. Diese Flasche ist aufgrund einer Leckage leer.
  • Danach dreht er die zweite Flasche auf. Diese ist mit 300bar*6,8l gefüllt. *
  • Es kommt zu einer schlagartigen Überströmung. Die Kräfte sind so groß, dass der Filter auf dem Flaschenventil abreißt und in der leeren Flasche gegen die Innenwandung geschleudert wird. Dabei wird die Innenwandung beschädigt.
  • Durch die Energie und den Sauerstoffpartialdruck (?) beginnt der Kunststoffliner zu brennen.
  • Nach ca. 70sec. explodiert die Flasche.
  • Der FM wird dabei getötet, die Explosion reißt ihm den Kopf ab.
  • Kausalkette: Je eine Flasche leer bzw. voll -> Überströmung -> Abriss Filter -> Zerstörung Liner -> Brennbarer Liner -> Feuer in Flasche -> Explosion
  • Der Ablauf konnte problemlos reproduziert werden. Der Verfasser hat zwei Videos der Reproduktionen gesehen, die aufgrund der noch laufenden Ermittlungen erst im Frühjahr 2004 veröffentlicht werden.

    Gegenmaßnahmen in Toulon

    Primär

    Geräte außer Betrieb.

    Sekundär

    Eine detaillierte Veröffentlichung in der Feuerwehr-Fachpresse ist durch die Feuerwehr Toulon für 2004 geplant.

    Verfasser:
    René Schubert, Dipl.-Ing. Sicherheitstechnik
    Abteilungsleiter Einsatzdienst
    Brandrat Feuerwehr Essen

    2. Unfall am 02.10.2002 in Genf (CH)

    Zwei Feuerwehrleute wurden bei einer Übung der Berufsfeuerwehren von Stadt und Flughafen verletzt.

    Wie einer Mitteilung des Feuerwehrverbandes zu entnehmen ist, platzte eine so genannte "Full Composite" Druckflasche aus Kunststoff. Von der entweichenden Druckluft getrieben, schwirrte die Flasche raketengleich wild in der Halle herum.

    Unfallursache wird abgeklärt

    Aufgrund dieser Vorfälle empfiehlt der Schweizerische Feuerwehrverband (SFV) den Feuerwehren, bis auf weiteres auf den Einsatz der "Full Composite" Druckflaschen zu verzichten. Ein europäisches Versuchs- und Forschungslabor kläre im Auftrag des SFV die Unfallursache ab. SFV-Mediensprecher Claude Berger sagte am Sonntag auf Anfrage, neben einer technischen Ursache sei eine Fehlmanipulation nicht auszuschliessen. Genf und Waadt hätten die Flaschen bereits nach dem Unfall in Genf aus dem Verkehr gezogen.

    Quelle: Zisch - Zentralschweiz online

    Stellungnahme der Dräger Safety AG & Co KGaA

    Stellungnahme zu zwei Unfällen mit Full-Composite-Druckluftflaschen

    Wie Sie den Medien und diversen Stellungnahmen entnehmen konnten, ist es in den vergangenen Wochen in Frankreich (Toulon) sowie in der Schweiz (Genf) zu zwei Unfällen mit Druckluftflaschen vom Typ "Full Composite" gekommen.

    Aus den uns bislang vorliegenden Informationen zum tragischen Unfall mit Todesfolge in Frankreich geht hervor, dass es sich bei der geborstenen Druckluftflasche um eine CFK-Atemluftflasche mit Kunststoffliner handelt, die mit einem Dräger-Pressluftatmer verwendet wurde. Dieser Flaschentyp ist durch Dräger nur in Frankreich verkauft worden. Der genaue Unfallhergang wird von der Staatsanwaltschaft derzeit analysiert. Uns liegen keine konkreten Angaben sowie Erkenntnisse über die Ursachen vor.

    Beim Unfall vom 3. Oktober 2002 in der Schweiz, der sich im Rahmen einer gemeinsamen Ausbildungsübung der Berufsfeuerwehren der Stadt und des Flughafens Genf ereignet hat, steht die Unfallursache noch nicht fest. Gemäss einer Mitteilung der Schweizerischen Depeschenagentur (SDA) vom 6.10.02 hat SFV Mediensprecher Claude Berger auf Anfrage erklärt, "neben einer technischen Ursache sei eine Fehlmanipulation nicht auszuschließen". Von unabhängiger Stelle ist eine Expertise zur Aufklärung der Unfallursache in der Schweiz in Auftrag gegeben worden.

    Dräger Safety befürwortet uneingeschränkt und vorbehaltlos alle Bemühungen zur Aufklärung der Unfallursachen.

    Der Vollständigkeit halber weisen wir bei dieser Gelegenheit noch einmal ausdrücklich darauf hin, dass bei einem sachgemäßen Umgang mit den zugelassenen Voll-Composite-Druckluftflaschen kein Gefährdungspotential besteht. Werden Atemluftflaschen bei Übungen oder im Einsatz jedoch fallen gelassen oder erhalten Sie aus anderen Gründen einen harten Schlag, so kann dies unter bestimmten, wenn auch höchst selten vorkommenden Umständen dazu führen, dass das Druckventil - eventuell auch erst zu einem späteren Zeitpunkt - unvorhergesehen abbricht.

    Wird eine Atemluftflasche deshalb bei einer Übung oder im Einsatz fallen gelassen oder erhält diese aus anderen Gründen einen harten Schlag, so ist die Flasche vorsichtig zu leeren und einer Untersuchung auf Wiederverwendbarkeit zu unterziehen.

    Wir hoffen, dass vorstehende Information für Sie von Nutzen ist und dazu beiträgt, die vorherrschende Unsicherheit zu beheben.

    Mit freundlichen Grüßen

    Wolfgang Drews

    Dräger Safety AG & Co KGaA - Personenschutz Technologie - Qualitätsmanagement

    Stellungnahme der vfdb, Ref. 8 "PSA"

    Betr.: Unfälle mit Composite Druckluftflaschen bei der Feuerwehr in Toulon (F) und Genf (S).

    Das Referat hat sich aufgrund der vorliegenden Informationen mit den beiden Unfällen beschäftigt und gibt folgende Einschätzung bekannt:

    1. Der Unfall in Toulon wird derzeit staatsanwaltschaftlich untersucht. Tatsache ist, dass die dort geborstene Flasche zur Zeit nicht auf dem Deutschen Markt angeboten wird. Detailinformationen zum genauen Versagen liegen nicht vor. Sobald ein genaues Ergebnis zum Unfallhergang und seiner Ursache verfügbar ist, ist beabsichtig eine ergänzende Information zu erstellen.
    2. Bei dem Unfall in Genf handelt es sich offensichtlich nicht um einen Berstfall. Die Flasche wurde durch eine nicht beabsichtigte Öffnung beschleunigt und verursachte entsprechend der freigesetzten Energien erhebliche Schäden.

    Beide Vorfälle indizieren nach Ansicht des Referates nicht die Veröffentlichung eines Warnhinweises bezogen auf die Verwendung von Composit-Flaschen oder gar ein Nutzungsverbot durch die Aufsichtsbehörden der Feuerwehren. Gleichwohl wird noch einmal darauf hingewiesen, dass Druckluftflaschen von Pressluftatmern, ungeachtet deren Materialbeschaffenheit, stets große potenzielle Energien speichern können und bei ungehinderter Luftfreisetzung entsprechende Gefahren für anwesende Personen im Umfeld bewirken können. Nur mit einer sensiblen und sicheren Handhabung lässt sich das Risiko eines Unfalls minimieren. In diesem Zusammenhang ist auch zu erwähnen, dass bei unzulässig hoher Momentanbelastung auf die außenliegenden Ventile z. B. durch Fall und Aufprall einer Atemluftflasche eine unplanmäßige Freisetzung des Flascheninhaltes oder im Extremfall ein Abriss des Ventiles nicht ausgeschlossen werden kann.

    Stellungnahme als word-Dokument

    Quelle:
    Stellv. Referatsleiter: Dipl.-Ing. U. Falkenberg
    Leitender Techn. Aufsichtsbeamter Feuerwehr-Unfallkasse Hannover
    Feuerdornweg 6, 31275 Lehrte
    F.D.St. 0511/9895427, Fax 0511/9895435, eMail falkenberg@fuk.de